Ästhetik, Erotik und Satire

Johann Heinrich Füssli – „Mode – Fetisch – Fantasie“

von Frank Becker

Umschlagillustration aus: Allegorie der Eitelkeit, 1811
Ästhetik, Erotik und Satire
 
Die Zeichnungen Johann Heinrich Füsslis
 
 
Der Schweizer Maler Johann Heinrich Füssli (1742-1825) war sicher einer der ungewöhnlichsten Künstler seiner Epoche. Selbst weniger bewanderten Kunstfreunden ist sein wohl bekanntestes Werk Nachtmahr aus dem Jahr 1781 geläufig, ein Bild das wie kein zweites den quälenden nächtlichen Alpdruck illustriert. Ein Meister düsterer nächtlicher Szenen und Traumsequenzen und der genußvoll morbiden Aufnahme mythologischer und literarischer Themen war Füssli – zudem aber auch ein ausgezeichneter, besonderer Zeichner mit Liebe zum Absurden, der Überzeichnung, der gezielten Groteske, mit spürbarer Neigung zur erotischen Aussage.
 
„Mode – Fetisch – Fantasie“, so der Titel des hier vorzustellenden Buches, richtet den Blick insbesondere auf diesen Aspekt des Füsslischen Schaffens, das erstmals in solcher Ausführlichkeit vom Februar bis Mai 2023 im Kunsthaus Zürich gezeigt wurde und so wohl niemals wieder zustande kommen wird. Der Katalog zur Ausstellung ist somit zugleich ein Referenzwerk zu der einzigartigen Zeichenkunst Füsslis. Beiträge der Kunsthistoriker Jonas Beyer, Mechthild Fend, Ketty Gottardo und David H. Solkin erläutern Werk und Hintergründe.
 

Johann Heinrich Füssli - Am Fenster sitzende Kurtisane um 1790-95 Detail - Kupferstichkabinett
der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz


Johann Heinrich Füssli Halbfigur einer Kurtisane mit Federbusch (Detail) um 1800 - Kunsthaus
Zürich, Grfische Sammlung Gottfried Keller-Stiftung, Bundesamt für Kultur, Bern

Der pietistische Zwingli-Schüler Füssli, eigentlich für eine klerikale Laufbahn bestimmt, nahm die exzessiven weiblichen Modeversuche in der Mitte des 18. Jahrhunderts, ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, der oft auch als Befreiungsversuche gedeutet wird, anfangs wohl eher als störend unmoralisch wahr, ein Standpunkt, der sich später diametral wandelte. Mit 20 Jahren bereits Pfarrer in Zürich mußte er aus kirchenpolitischen Gründen sein Amt verlassen und ging nach England, wo er als Übersetzer arbeitete und ab 1765 durch den Einfluß Joshua Reynolds´ in die Fußstapfen seines Vaters des Malers Johann Caspar Füssli trat. Ein neunjähriger Aufenthalt in Italien (Rom) führte ihn an die Antike heran, bis er 1779, da bereits ein anerkannter Maler, nach England zurück ging und Sophia Rawlins heiratete, die in den Folgejahren offenkundig sein bevorzugtes Modell wurde – kein Wunder, erkennt man die physiognomische und körperliche Attraktivität der schönen jungen Frau.
 

Johann Heinrich Füssli, Sophie Füssli 1800 - National Galleries of Scotland - sehr ähnlich der
Porträbüste einer flavischen Frau, 2. Jhdt., Musei Capitoline, Palazzo Nuovo, Rom


Johann Heinrich Füssli, Sophia Füssli mit grossem Hut, schlafend, um 1795 Feder in Braun, Pinsel,
aquarelliert, und Deckfarbe, 22,7 x 18,6 cm Auckland Art Gallery Toi o Tāmaki, purchased 1965,
Image courtesy of Auckland Art Gallery Toi o Tāmaki

Folglich war Sophia es, die in den folgenden Jahren in seinen Zeichnungen als „das Gesicht“ Füsslis seine Portraits bestimmte und ihres schönen Wuchses wegen auch die fraglos erotischen Phantasien des Künstlers, wörtlich zu nehmen, verkörperte. Der Katalog zeigt eine bestechende Auswahl solcher Zeichnungen, dem Thema der Ausstellung folgend natürlich besonders Füsslis überbordende Phantasie in der Darstellung von abenteuerlichen weiblichen Frisuren, Kopfbedeckungen und Kleidern, gerne in Rückenansicht. Bei Front- oder Seitenansichten ist seine verständliche Liebe zu schön geformten Brüsten nicht zu übersehen, und auch die explizite Darstellung erotischer Betätigeng ist zu finden, wobei er die Damen in der Benennung gerne als Kurtisanen bezeichnet. Das mußte wohl so sein, um die Wohlanständigkeit des Bürgers zu wahren. Aber mit Zwingli hatte er wohl längst abgeschlossen.
 

Johann Heinrich Füssli Dame am Frisiertisch

Füsslis Zeichnungen – nur einige können wir Ihnen hier zeigen – sind kostbar, sein perfekter Strich, die kaum versteckte Satire und die raffinierte Kolorierung von höchster Delikatesse. Neben künstlerischer Perfektion zeigen sie auch seinen tiefen Humor und die Liebe zur Ästhetik. Mit 87 Jahren starb Johann Heinrich Füssli in England. Seine Überreste sind in der Londoner St. Paul´ s Catherdral beigesetzt.
 

Johann Heinrich Füssli Sitzende Frau (Sophia Füssli) um 1796 - Kunsthaus Zürich, Graph. Slg.

Johann Heinrich Füssli – „Mode – Fetisch – Fantasie“
Herausgegeben vom Kunsthaus Zürich, in Zusammenarbeit mit der Courtauld Gallery, London
Mit Beiträgen von Jonas Beyer, Mechthild Fend, Ketty Gottardo und David H. Solkin
© 2023 Scheidegger & Spiess, … Seiten, ISBN 978-3-03942-123-7
39,00 sFr / 38,00 €

Weitere Informationen: www.scheidegger-spiess.ch